k+a 2022.2 : Ephemere Architektur | Architecture éphémère | Architettura effimera

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Das Ephemere ist eine Konstante in der Geschichte der Architektur, sei es für Festlichkeiten und Festivals, für Ausstellungen, als Hilfskonstruktionen für den Brückenbau oder als temporäre Wohnlösung. In der beschränkten Lebens- und Nutzungsdauer solcher Bauten liegt ihr Reiz, liegt die Herausforderung für die beteiligten Architekten, Planer, Künstler und Handwerker. Vielleicht haben diese ganz unterschiedlichen Bauaufgaben ihren Ursprung nicht zuletzt in unseren nomadischen Wurzeln und damit im Zelt – als Inbegriff von «fliegenden Bauten».

Unsere Autorinnen und Autoren haben für diese Ausgabe eine spannende Auswahl von Objekten zusammengestellt – sie zeigen, dass ephemere Architektur trotz ihrer umständlichen Natur eine wiederkehrende und relevante Architektur ist. So drückt beispielsweise jede Epoche im Vergänglichen ihre Idee des Feierns aus und materialisiert sie mit der jeweils verfügbaren Technik. Der flüchtige und spielerische Charakter der Bauten erfüllt eine experimentelle Funktion und regt zum Nachdenken über den öffentlichen Raum und soziale Teilhabe an.

Die Geschichte des Filmfestivals Locarno seit 1946 zeigt exemplarisch, wie sehr dieser Anlass bis heute als urbanes Laboratorium und Experimentierfeld funktioniert. Die Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit Saffa 1958 wiederum liefert Anschauungsmaterial dafür, wie kreativ das Architektinnenteam um Annemarie Hubacher den begrenzten finanziellen Spielraum nutzte, um mit Erfindungsreichtum, kostengünstigen Materialien und rezyklierten Bauelementen den architektonischen Rahmen für dieses Ereignis zu schaffen – mit minimalistischem Duktus.

 

 

Dossier 1
Eliana Perotti, Katia Frey
Erfindungsreich, modern und kostengünstig
Die Bauphilosophie der ephemeren Ausstellungsbauten an der Saffa 1958

Zusammenfassung
An der Schweizerischen Ausstellung für Frauenarbeit (Saffa 1958), die im Sommer 1958 am linken Zürcher Seeufer einem nationalen und internationalen Publikum dargeboten wurde, waren nebst den eigentlichen Ausstellungshallen auch zahlreiche andere ephemere Bauten zu besuchen, die verschiedene Funktionen und Nutzungen aufnahmen, wie Aufführungen und Veranstaltungen, Gastronomie und Shopping, wie auch Räume zur Erholung und Besinnung. Auf den begrenzten finanziellen Rahmen für die Ausrichtung der Ausstellung reagierten die Chefarchitektin Annemarie Hubacher und ihr Architektinnenteam mit einer vielfältigen Strategie, die kreativen Erfindungsreichtum mit innovativen Bautechnologien, kostengünstigen Materialien und rezyklierten Bauelementen kombinierte. Die in diesem Geist ersonnenen Architekturen lassen sich in die Traditionsreihe moderner weiblicher Experimentalbauten einordnen, die mit minimalistischem Duktus temporäre, kompakte, kostengünstige und mobile Lösungen erforschten.

 

Dossier 2
Johann Clopath
Gerüstbauer von Weltruf
Richard Coray als Pionier der Bautechnik

Zusammenfassung
Der Gerüstbauer Richard Coray (1869–1947) gehört zu den führenden Lehrgerüstbauern der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mit seinen Bauten ermöglichte er die weitgespannten Brücken der Rhätischen Bahn, die bis heute zu den Meisterwerken des Brückenbaus gehören. Nach seiner Lehre als Zimmermann bildete sich der 1869 in Trin GR geborene Coray während dreier Semester am Technikum in Winterthur weiter. Seine besondere Gabe, Holz «lesen» zu können, und sein geübtes Auge ermöglichten es ihm, die geeigneten Balken für seine komplizierten Konstruktionen passend auszusuchen und diese so zu platzieren, dass extrem stabile Gerüste entstanden. Neben seiner Arbeit im Kanton Graubünden erstellte er weitere spektakuläre Lehrgerüste in den Kantonen Appenzell Ausserrhoden und St. Gallen, in der ersten Hälfte der 1920er Jahre folgten grosse Gerüstbauten in der Westschweiz. Corays Werke fallen durch ihre besonderen Dimensionen auf – wie etwa das 1933 gebaute, beinahe 100 m weite Lehrgerüst für den Pont de Gueuroz in der Trientschlucht bei Martigny. Dieses Gerüst überquerte das Flussbett in einer Höhe von 192 m. Bekannt wurde Richard Coray auch durch seine Lehrgerüste im Ausland, so etwa in Kleinasien und Montenegro.

 

Dossier 3
Jürg Conzett
Kühnes Bauen
Richard Corays Gerüstturm für den Bau des Sitterviadukts

Zusammenfassung
Das kühnste Gerüst, das Coray je erstellte, ist der Gerüstturm des Sitterviadukts der Bodensee-Toggenburg-Bahn (heute Südostbahn) nahe der Stadt St. Gallen. Der Viadukt quert das breite Sittertobel in rund 100 Metern Höhe. Er besteht aus drei Teilen: Entlang der beiden Talflanken tragen gemauerte Bogenreihen das Geleise, dazwischen spannt sich ein 120 Meter langer eiserner Fachwerkträger mit einem Gewicht von 920 Tonnen. Bei seiner Fertigstellung im Jahr 1910 gehörte der Sitterviadukt zu den grössten und höchsten Brücken Mitteleuropas.

 

Dossier 4
Gabriele Neri
Il Locarno Film Festival
Un laboratorio architettonico e urbano 1946-2022

Zusammenfassung
Das Locarno Film Festival – ein architektonisches und urbanes Laboratorium 1946–2022
Architektonische und städtebauliche Eingriffe haben die Geschichte des Filmfestivals Locarno von 1946 bis heute geprägt. Vom Grand Hotel Locarno, dem ersten Veranstaltungsort, ist das Festival an unterschiedliche temporäre und dauerhafte Veranstaltungsorte umgezogen. Unter den vielen Projekten ragt die Erfindung von Livio Vacchini auf der Piazza Grande heraus, um die herum alternative und ergänzende Lösungen entwickelt wurden; es gab auch zahlreiche Initiativen für einen ständigen Veranstaltungsort, die zur Schaffung des 2017 fertiggestellten Palazzo del Cinema führten. Dank der Durchsicht der im Archiv des Locarno Festivals und in anderen Archiven aufbewahrten Dokumente tauchen zahlreiche weitere Projekte auf, von denen einige bereits realisiert wurden und viele erst auf dem Papier bestehen – auf jeden Fall beweisen sie die Vitalität des Festivals als Experimentierfeld und Labor im Dialog mit der Stadt.

 

Dossier 5
Kristel Amadane-Huguet
Les émules du Globe Theatre
Du théâtre de Shakespeare à la Tour Vagabonde

Zusammenfassung
Von Shakespeares Globe Theatre bis zur Tour Vagabonde
Ende des 16. Jahrhunderts entstand in London eine neue Theaterform, die heute als elisabethanisch bezeichnet wird. Das Globe Theatre gehörte zu diesem Bautypus, die Theatergruppe des berühmten William Shakespeare spielte dort. Von 1599 bis 1644 in Betrieb, wurde es nach dem Sieg der Puritaner abgerissen. Das Globe Theatre ist eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration und wurde in verschiedensten Formen immer wieder nachgeahmt. Eine dem Shakespeare- Bauwerk sehr nahekommende Nachbildung ist das vom amerikanischen Schauspieler Sam Wanamaker erdachte Theater, das 1997 in London eröffnet wurde. Der Einfluss des Globe Theatre ist auch in der Schweiz präsent, nämlich in der Struktur der mobilen Tour Vagabonde. Dieses Freiburger Wandertheater und Kulturinstitut wurde 1996 von den Ateliers de l’Orme nach dem Vorbild der elisabethanischen Theater gegründet. Die Ähnlichkeiten mit dem Londoner Gebäude sind durchaus vorhanden und zeugen von der Prägnanz dieses temporären und mobilen Theaterbaus.

 

Dossier 6
Lukas Zurfluh
Flüchtig und dauerhaft zugleich
Die Architektur der Expo 64 in Lausanne

Zusammenfassung
Die 5. Schweizerische Landesausstellung von Lausanne war stark geprägt durch die Polarität zwischen ephemeren und permanenten Merkmalen. Den leichten und demontierbaren Ausstellungsbauten stand eine dauerhafte, zu grossen Teilen neu gebaute Ausstellungslandschaft gegenüber. Verbunden wurde diese beiden grundsätzlich verschiedenen Charakteristiken einerseits durch die städtebaulich-architektonischen Leitbilder des multicellulaire und der neuen Stadt, andererseits durch das Motiv der Rekonstruktion, das die Reihe der Schweizerischen Landesausstellungen bis zum Jahrtausendwechsel bestimmt hat. Jede Generation sollte diese Erfahrung des Aufbaus, Abbaus und Wiederaufbaus machen können. Alle 25 Jahre sollten sich die Schweizerinnen und Schweizer an einer Landesausstellung vergewissern können, von wo sie kommen und wohin sie gehen wollen, sollten die oft verschütteten Fundamente der schweizerischen Kultur für eine kurze Zeit zu einer erfahrbaren, wahrnehmbaren Realität werden.

 

Dossier 7
Heiko Dobler
Das Franzosenhaus und die Badenfahrt
Wie das Franzosenhaus gleich zweimal abgebrochen wurde

Zusammenfassung
Das alle zehn Jahre stattfindende Volksfest der Badenfahrt in der Stadt Baden gehört zum immateriellen Kulturerbe der Schweiz. Das Fest findet seinen historischen Ursprung in den gesellschaftlichen Anlässen im funktionalen Kontext der Stadt als Tagsatzungs- und Kurort. Anlässlich der Badenfahrt von 1982 wurde anstelle eines repräsentativen Altstadthauses, das den französischen Gesandten während der Tagsatzung als Unterkunft diente und um die Mitte des 19. Jahrhunderts abgebrochen worden war, durch den bekannten Bühnenbildner Toni Businger für nur wenige Tage eine Kulissenarchitektur erstellt. Dieser als «Franzosenhaus» bezeichnete Festpavillon nimmt in seiner Situierung Bezug zu seinem historischen Vorgänger, gestalterisch zeigte er sich hingegen als freie Interpretation des Künstlers. Bis in die heutige Zeit regt die nur kurzweilig präsente Kulisse die Gesellschaft und die Politik an, das Thema der im 19. Jahrhundert geöffneten Stadt und den nachträglich wieder aufgekommenen Wunsch nach den verlorenen Stadtikonen zu diskutieren.

 

Dossier 8
Fabian Felder
Bauen auf Zeit
FOGO – ephemere Architektur mit beständigen Werten

Zusammenfassung
Seit 2018 leben Geflüchtete, Studierende, Fahrende und junge Menschen in Ausbildung gemeinsam auf dem Geerenweg-Areal. Die Zwischennutzung hinter dem Bahnhof Zürich-Altstetten verlangte nach einer architektonischen Lösung, die Kosteneffizienz mit ökologischen Erfordernissen vereint und auf die Bedürfnisse der Menschen, die an diesem Ort für eine begrenzte Zeit ein Zuhause finden, eingeht. Die Lösung bestand aus einem Ensemble von Modulbauten in Holzbauweise. Das Beispiel FOGO illustriert das Potential von Zwischennutzungen – auch als Experimentierfeld für neue Wohn- und Lebensformen – und zeigt wie sich solche temporären Bauten in das städtebauliche Umfeld einfügen.

 

Dossier 9
Anastasia Gilardi
Gli apparati effimeri per le Processioni della Settimana Santa di Mendrisio
Tre esempi dall’ordinario allo straordinario

Zusammenfassung
Ephemere Objekte für die Prozessionen der Karwoche in Mendrisio
Bei den Feierlichkeiten der Karwoche in Mendrisio sind drei verschiedene Arten von ephemeren Objekten anzutreffen: die häufig gemalten Scherenschnitte, welche die architektonischen Scheinstrukturen für das «Grab Christi» in der Kirche Santa Maria in Borgo beleben, der künstliche Altar für die Statue der schmerzensreichen Muttergottes während des ihr gewidmeten Septenars sowie die aussergewöhnlichen Trasparenti. Bei Letzteren handelt es sich um Hunderte von durchscheinenden Gemälden aus dem Jahr 1791, die etwa einen Monat lang die räumliche Wahrnehmung der engen Gassen der Altstadt verändern – ihre Einzigartigkeit hat dazu geführt, dass die historischen Prozessionen von Mendrisio im Jahr 2019 in die Liste des immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen wurden.

 

Aktuell | Actuel | Attuale
Nicole Pfister Fetz, lic. phil. I, Präsidentin GSK
Billet de la présidente
Für ein vielfältiges Kulturerbe

 

Aktuell | Actuel | Attuale
Saskia Ott Zaugg
Die GSK zu Gast in Schaffhausen
An der 142. Generalversammlung der GSK würdigten der Schaffhauser Regierungsrat, der Stadtpräsident und die kantonale Denkmalpflegerin die hohe Bedeutung und das eindrückliche Engagement der GSK für die Baukultur. Schaffhausen rühmt sich einer hohen Dichte hochrangiger Kulturdenkmäler – und will diese mit weiteren Kunstführern und einer Neuauflage der Kunstdenkmälerbände in Zukunft noch sichtbarer machen.

 

Publikationen der GSK | Publications de la SHAS | Pubblicazioni della SSAS

  • Longeborgne – un ermitage traditionnel et unique >>
  • Das Berner Münster – Juwel der Spätgotik >>

 

Auslandreisen | Voyages à l’étranger | Viaggi all’estero

  • Apuliens Denkmäler und Landschaften
  • Zwischen Golan und Totem Meer

 

Ausstellungen | Expositions | Esposizioni
Otto Tschumi – surreale Welten im Schloss Spiez
Die diesjährige Sommerausstellung im Schloss Spiez ist dem Berner Maler, Zeichner und Grafiker Otto Tschumi (1904–1985) gewidmet. Als einer der bedeutendsten Vertreter des Schweizer Surrealismus schuf er einen tiefgründigen Kosmos in leuchtender Farbigkeit und voller surrealer Traumgebilde, die Raum schaffen für die Phantasie.

 

Bücher | Livres | Libri
Martin Gantner
Platz da!
Carola Jäggi/Andrea Rumo/ Sabine Sommerer (Hgg.)
Platz da!
Genese und Materialität des öffentlichen Platzes in der mittelalterlichen Stadt
Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters,
Band 49 Basel: Schweizerischer Burgenverein, 2021 240 S.
ISBN 978-3-908182-33-7

 

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Preis
CHF 20.00
GSK-Mitgliederpreis
CHF 14.00
Type:
Buch
Abbildungen
108
Seitenzahl
80
Autoren
Diverse
Artikelnummer
K+A-2022.2
Inhaltssprache
Deutsch
Französisch
Italienisch
Erscheinungsdatum
ISBN
978-3-03797-805-4
Bandnummer
73. Jahrgang, 2.2022
Verlag
Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte