Architektur unter der Erde | Architecture souterraine | Architettura sotterranea
Begibt man sich im Untergrund der Schweiz auf Spurensuche, so entdeckt man nicht nur die bekannten Eisenbahn- und Strassentunnel, sondern auch ein weitläufiges Infrastrukturnetz, das Hunderttausende von Kilometern umfasst. Seit über 150 Jahren baut die Schweiz unter der Erde – verdichtet also Richtung Erdmittelpunkt. Dazu gehören die «schlafenden Schlachtschiffe », die militärischen Festungsbauten, ebenso wie Bauten zur Nutzung der Wasserkraft, Forschungsbauten, Wohnbauten, Bergwerke, Mühlen und vieles mehr. Wir stellen Ihnen eine nichtrepräsentative – aber sicher spannende – Auswahl dieser unterirdischen Bauten und Anlagen in dieser Ausgabe vor.
Es mag sein, dass der Raum unter Tage in Zukunft noch wertvoller und wichtiger wird. Aber taugt er auch als dauerhafter Lebensraum? Einer, der sich dafür ausspricht, ist Architekt und Städteplaner Dominique Perrault, der im Interview erklärt, weshalb diese wertvolle Ressource vermehrt genutzt werden sollte und warum er der Schweiz am ehesten zutraut, eine dringend benötigte Kartographie davon zu entwickeln. Der Untergrund übt aber seit Urzeiten nicht nur eine grosse Faszination auf den Menschen aus – er ist bisweilen auch erhaben schön und gleichzeitig geheimnisvoll, wie unser Titelbild ahnen lässt. Der Fotograf Silvio Maraini zeigt mit seinem Bildessay über Wasserreservoirs – die er «geflutete Kathedralen» nennt –, welche geheimnisvollen Gewölbe, Pfeiler und Hallen sich unter unseren Füssen verbergen.
Essay | Essai | Saggio
Boris Schibler
Kulturraum Untergrund – eine Spurensuche
Zusammenfassung
Sie sind allgegenwärtig und doch «unsichtbar», fassadenlos und ohne öffentlichen Auftritt: Bauten unter der Erde. Und dennoch sind sie seit Urzeiten mit der Entwicklung der menschlichen Zivilisation verbunden – als sakrale Orte, Festungsbauten, Infrastrukturbauten und vieles mehr. Die Gründe für das Bauen im Untergrund sind vielfältig – ebenso wie seine technischen Herausforderungen und Grenzen. Der Untergrund ist aber auch seit Urzeiten ein Faszinosum – und eröffnet im Zuge der Forderungen nach Verdichtung im Inneren vielleicht ganz neue Perspektiven, um den Dichtestress zu meistern. Die Bilder von ganzen Städten unter der Erdoberfläche verflüchtigen sich aber ebenso schnell, wie sie vor dem geistigen Auge entstehen. Denn frei ist dieser Raum höchstens in dem Sinn, dass er eben noch nicht verbaut ist – ob er sich allerdings als dauerhafter Lebens- und Kulturraum für Menschen eignet, ist eine ganz andere Frage.
Dossier 1
Carola Jäggi, Hans-Rudolf Meier
Krypten
Sakrale Räume unter der Erde
Zusammenfassung
Tote fanden ihre letzte Ruhestätte schon immer unter der Erde. Sie erhielten Einzelgräber, aber auch Grabkammern, die so gross waren, dass sie begangen werden konnten. Das war auch im christlichen Kontext nicht anders. Bei besonders verehrten Toten suchten Kirchenbauten eine räumliche Nähe zu deren Gräbern, wurden bei ihnen errichtet, aber auch über ihnen, wenn möglich so, dass das verehrte Grab axial unter dem Altar der oberirdischen Kirche zu liegen kam. Auch diese Gräber sollten aber zugänglich sein, woraus die Krypta im Sinne eines unter dem Chor einer Kirche liegenden Sakralraumes entstand. Erst im Hochmittelalter lockerte sich dieser enge Zusammenhang zwischen Heiligengrab und Krypta, womit deren Existenz ihre funktionale Begründung verlor und nur noch zeichenhafte, ästhetische oder praktische Bedeutung hatte.
Dossier 2
Caroline Calame
À la recherche de l’eau motrice
Les moulins souterrains du Col-des-Roches
Zusammenfassung
Auf der Suche nach der Wasserkraft: die unterirdischen Mühlen von Col-des-Roches
Die Mühlen von Col-des-Roches sind die einzigen unterirdischen Mühlen, die in Europa noch zu sehen sind. Die Höhle wurde im 17. Jahrhundert angelegt, um einen unterirdischen Wasserfall zum Antrieb von Maschinen zu nutzen. Es wurde ein komplexes System aus übereinander angeordneten Wasserrädern installiert, die Getreidemühlen, einen Dreschkasten, eine Ölmühle und ein Sägewerk antrieben. Die Mühle wurde Ende des 19. Jahrhunderts geschlossen und ein Jahrhundert später als historisches und industrielles Museum wiedereröffnet.
Fotoessay | Essai photographique | Saggio fotografico
Geflutete Kathedralen
Der Schweizer Fotograf Silvio Maraini porträtiert Denkmäler der Zivilisation, die Normalsterbliche nie zu sehen bekommen, liegen sie doch in der Schweiz fast immer im Untergrund: Wasserreservoirs. Erst wenn das Wasser nicht mehr da ist, wenn es Zeit ist für die jährliche Reinigung, erkennt man die bezaubernde Schönheit dieser unterirdischen Schatzkammern. Es zeigen sich filigrane und wuchtige Säulen, organische Formen und Kreuzgewölbe, ein Raumerlebnis, das nachhallt wie in einem sakralen Raum. Maraini dokumentiert in seinem Buch Geflutete Kathedralen (Benteli Verlag, Zürich) die reine Innenarchitektur und erhabene Ästhetik dieser geheimnisvollen Wasserspeicher unter der Erde.
Interview | Interview | Intervista
La disparition de l’architecture
Le sous-sol est une source de peurs comme de fascination. Dominique Perrault se spécialise dans l’architecture souterraine depuis plus de trente ans et s’est fait connaître dans le monde entier par ses projets impressionnants qui s’enfoncent et se déploient sous la surface. Il s’exprime sur les possibilités et les résultats de recherche qui s’offrent dans ce domaine architectural si important et pourtant majoritairement méconnu.
Dossier 3
Lukas Bonauer
Wohnraum im Verborgenen
Erdhäuser in der Schweiz
Zusammenfassung
Erdhäuser haben weiche Formen, helle Wände – und sind mindestens einen Meter mit Erde überdeckt. Von weitem kaum sichtbar, verstecken sie sich seit mehr als vierzig Jahren im Schweizer Siedlungsbild. Noch immer suchen diese Bautypen hierzulande ihre Berechtigung – irgendwo zwischen nachhaltigem Bauen und Naturromantik. Dabei rechtfertigen die Zeichen der Zeit ihr Dasein. Heute rufen Platzmangel und der Ruf nach verdichtetem Bauen, die zunehmende Mobilität und Digitalisierung und die stattfindenden Wetterextreme stärker denn je den Untergrund als möglichen Bauort auf den Plan. Doch mit einbezogen werden die Erdhäuser von der hiesigen Schweizer Baurealität noch immer wenig. Sie sind in den Bebauungsplänen der Städte und Gemeinden schlichtweg nicht vorgesehen. Welche Bedürfnisse spricht diese unterirdische Art zu residieren eigentlich an, und worauf ist dabei zu achten? Ein Besichtigungsstreifzug in die helvetische Camouflage-Wohnarchitektur.
Dossier 4
Thomas Bitterli-Waldvogel
Festungs- und Zivilschutzbauten in der Schweiz
Ein kaum beachtetes Kulturerbe
Zusammenfassung
Der Festungsbau war in der Barockzeit geprägt durch volle Sichtbarkeit – die Wehrhaftigkeit wurde in voller Pracht dargestellt. Immer mehr verlagerte sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts der Festungsbau in den Untergrund: Von den Festungen ab 1890 sind nur noch die Waffenscharten sichtbar. Stellungen von Geschützen und Mannschaftsräume verbergen sich im Inneren von Felsen. Diese Festungen haben neben den Waffen eine reichhaltige Infrastruktur, die temporär das Überleben unter dem Boden ermöglicht. Trotzdem ist es euphemistisch, diese teils engen, feuchten und stickigen Höhlen als «Stadt unter dem Boden» zu bezeichnen. Während des Kalten Krieges setzte die Schweizer Armee vermehrt auf die kostengünstigere Bautechnik des Tagebaus mit Erdüberdeckung. 120 Festungsminenwerfer, 16 Bisons und eine Vielzahl an atomsicheren Unterständen (ASU) und Kugelbunker (KuBu) wurden eingegraben und überdeckt. Neben den eigentlichen Kampfbauten hat die Eidgenossenschaft ab den 1950er Jahren für die Bevölkerung auf das ganze Land verteilte Zivilschutzbauten errichtet, die ebenfalls unterirdisch angelegt sind.
Dossier 5
Conradin Clavuot
Die Kraftwerkbauten im Kanton Graubünden
Über die Faszination des unterirdischen Bauens
Zusammenfassung
Ein Blick auf die Landkarte des Kantons Graubünden mit den eingetragenen Kraftwerkanlagen – inklusive deren Verbindungsstollen – zeigt, dass die vermeintlich ungestörte Naturlandschaft unterirdisch durch ein weitläufiges Netz aus Beton und Stahl verbunden ist. Der wirtschaftliche und soziale Wandel nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs brachte eine völlig neue Dynamik in den Kraftwerkbau in den Schweizer Alpen. So wurden viele der gebauten Infrastrukturen – zuallererst aus ingenieurtechnischen Gründen – in den Fels verlegt. Entstanden ist eine unterirdische Baukultur, deren Faszination auf dem Zusammenklang von Berg, Wasser, Energie und Ingenieurwissen fusst – die meisten Bauten zeichnen sich durch die Reduktion und Konzentration auf die Frage der eigentlichen Aufgabe aus: Form follows function.
Dossier 6
Flavio Zappa
La giazzéra di Caslano
Una curiosa cella frigorifera ante litteram
Zusammenfassung
Der Eiskeller von Caslano
Der Eiskeller (giazzéra) von Falcioni in Caslano ist ein sehr spezieller Fall unter Boden liegender Tessiner Baukultur. Es handelt sich um einen zylindrischen Bau, der zu drei Vierteln unter der Erde liegt und von einer Backsteinkuppel überwölbt ist, die zusätzlich mit einer gut isolierenden Schicht Erde überdeckt ist. Die giazzéra wurde – wahrscheinlich in zwei Etappen – im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts für eine Metzgerei errichtet, die bis in die 1930er Jahre im Dorf betrieben wurde. Das Bauwerk besitzt zwei übereinanderliegende, durch einen Holzboden getrennte Räume: oben die Kammer, die durch eine Öffnung auf Bodenhöhe mit Schnee oder Eis gefüllt wurde; unten der Kühlraum, der durch einen langen Tunnel zugänglich ist. Die Kälte, die beim langsamen Abschmelzen des Eises in der gut isolierten Kammer entstand, minimierte den Einfluss der täglichen und jahreszeitlichen Temperaturschwankungen. Auf diese Weise konnten über viele Monate hinweg ideale Temperaturen für die Lagerung von Fleisch und Wurstwaren gewährleistet werden.
KdS | MAH | MAS
Von A wie Angenstein bis Z wie Zwingen
Mit dem fünften, am 30. November 2022 erschienenen Band findet die Reihe «Die Kunstdenkmäler des Kantons Basel-Landschaft» ihren vorläufigen Abschluss. KdS-online bietet neue redaktionelle Chancen für eine Neubearbeitung des Kantonsgebiets.
KdS | MAH | MAS
Le bourg capitulaire et l’église de Valère à Sion
Un patrimoine religieux, culturel et naturel d’exception
L’église de Valère et le bourg capitulaire qui l’entoure forment un ensemble phare, non seulement du canton du Valais mais de toute la Suisse. L’histoire architecturale complexe du site est pour la première fois dévoilée de manière détaillée dans le nouveau tome valaisan qui a été présenté au public le 6 décembre 2022 dans la salle du Grand Conseil à Sion.
Aktuell | Actuel | Attuale
Nicole Bauermeister, Direktorin der GSK
Billet de la direction
Swiss Art in Sounds
Publikationen der GSK | Publications de la SHAS | Pubblicazioni della SSAS
Das Nationale Jugendsportzentrum Tenero CST
Der neu erschienene Schweizerische Kunstführer zeichnet das Bild einer zeitlosen Ikone
Aktuell | Actuel | Attuale
Future Heritage
Neues Weiterbildungsprogramm an der ETH Zürich
Der Umgang mit dem Baubestand verlangt vertieftes Fachwissen und die Fähigkeit, vorhandene Qualitäten und Werte zu erkennen. Im Herbst 2023 startet an der Professur für Konstruktionserbe und Denkmalpflege der ETH Zürich unter der Leitung von Prof. Dr. Silke Langenberg erneut ein Weiterbildungsprogramm auf Zertifikatsstufe.
Auslandreisen | Voyages à l’étranger | Viaggi all’estero
- Im Land des Schimmelreiters
Literatur- und Kunstreise nach Lübeck und Nordfriesland
- Eine paradiesische Reise
Auf den Spuren des Architekten Geoffrey Bawa
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