
Die Schweizer Textilindustrie gehört zu den ältesten Industriezweigen unseres Landes, ihr Aufbau begründete die hiesige Industrialisierung, steht doch der Bedarf an Spinn-, Web- und Stickmaschinen am Anfang der einheimischen Maschinenindustrie. Überdies begünstigte die Nachfrage nach Chemikalien zum Färben und zur Behandlung von Textilien die Entstehung einer chemischen Industrie. Gleichzeitig belebte der Finanzierungsbedarf der Textilunternehmen das Bankwesen.
St. Galler Stickereien waren bis zum Ende des Ersten Weltkriegs das bedeutendste Exportprodukt der Schweiz. Peter Röllin schildert in seinem einleitenden Beitrag, wie prägend für die Gesellschafts- und damit auch die Siedlungsgeschichte der Ostschweiz dieser Wirtschaftszweig war – und wie er sich in einigen Bereichen noch heute behaupten kann: dank Spitzenleistungen in der Welt der Mode, der Haute Couture und des Textildesigns. Bereits die protoindustrielle Hochblüte – dank des Handels mit Leinwand und Baumwollprodukten – veränderte allerdings schon im 18. Jahrhundert das Gesicht vieler Dörfer, wie etwa in Azmoos im St. Galler Rheintal oder in Trogen in Appenzell Ausserrhoden. Diese Blüte hinterliess ein hochwertiges baukulturelles Erbe, das eindrücklich von der internationalen Vernetzung, dem Einfluss und dem Wohlstand der beteiligten Familien zeugt.
Die Schwerpunkte dieser Ausgabe illustrieren, wie unglaublich innovativ und dynamisch dieser Wirtschaftszweig sich in den vergangenen Jahrhunderten entwickelte und welch grossen Einfluss er auf unsere Baukultur hatte.
Essay | Essai | Saggio
Peter Röllin
Fenster zur Welt – textile Ostschweiz
Zusammenfassung
Zwei grosse textile Zeitalter vor und nach 1800 prägen die Wirtschafts- und Gesellschaftsgeschichte und damit auch die Siedlungsgeschichte der Ostschweiz: die Leinwandindustrie seit dem ausgehenden Mittelalter bis um 1800 sowie die St. Galler Stickerei seit der Helvetischen Revolution bis zu ihrem Zusammenbruch in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg. Die textile Ostschweiz mit der wirtschaftlichen Metropole St. Gallen war mit dem Leinwandhandel schon im Spätmittelalter Leader im Exportgeschäft der Eidgenossenschaft. War zuvor Konstanz der Mittelpunkt der frühen Leinwandindustrie, übernahm St. Gallen nach dem Ende des Konstanzer Konzils 1418 die Hauptrolle im Bodenseeraum. Unternehmen wie die Berner Diesbach-Watt-Gesellschaft boten zwischen Spanien und Polen die wichtige Logistik im Fernhandel der St. Galler. Das breite Aufkommen der Baumwolle im 18. Jahrhundert führte zur Ablösung von der Leinwand zur St. Galler Stickerei, im Ausland bekannt als «broderies suisses» – «Swiss Embroidery» – «ricami svizzeri». Die textile Ostschweiz war einst weltweit eines der wichtigsten Herstellungs- und Exportgebiete von Stickereien – und sorgt nun seit Jahrzehnten wieder mit Spitzenleistungen für grandiose Auftritte in der Welt der Mode und des Textildesigns. Spitzenunternehmen wie Forster Rohner AG und Akris sorgen in der Haute Couture für Schlagzeilen und faszinierende Bilder von Trägerinnen ihrer Produkte.
Interwiew
Von der «Krone» in den Untergrund
Als der Stiftungsrat des Textilmuseums St. Gallen den Wettbewerb ausschrieb, schwebte ihm vor, das Gebäude mit einem zusätzlichen Geschoss zu bekrönen. Gewonnen hat ein Projekt, das das Gegenteil vorschlägt: einen riesigen Ausstellungssaal im Untergrund. Stephanie Ehrsam und Peter Röllin führten mit Carmen Fleisch-Otten, Stiftungspräsidentin Textilmuseum St. Gallen, Christian Kerez, Architekt ETH/SIA, Zürich und Preisträger des Wettbewerbs, Catherine Dumont d’Ayot, Architektin und Partnerin von Christian Kerez, sowie Joseph Schwartz, Bauingenieur ETH, ein Interview zum geplanten Umbau.
Dossier 1
Heidi Eisenhut und Moritz Flury-Rova
Städtische Steinhäuser Fäustling im Dorf
Zu den Bauten der Textilhandelsfamilien Zellweger in Trogen, Wetter in Herisau und Sulser in Azmoos
Zusammenfassung
Azmoos im St. Galler Rheintal und Trogen in Appenzell Ausserhoden sind kleine Dörfer abseits der Verkehrswege. Unerwartet stattliche Steinbauten künden aber von einer einstigen Bedeutung. Ähnliches lässt sich auch für Herisau feststellen. In allen drei Dörfern veränderte im 18. Jahrhundert je eine Familie die bisher aus Holzbauten bestehenden Dorfbilder wesentlich. Die Familien Zellweger in Trogen, Wetter in Herisau und Sulser in Azmoos waren im Textilhandel tätig und miteinander verschwägert. Wie kam es, dass sie aus der Peripherie heraus im Handel mit Leinwand und Rohbaumwolle und mit Baumwollprodukten reich und einflussreich wurden? Und wie drückte sich ihr Wohlstand in ihren Häusern aus, die allesamt Wohn-, Geschäfts- und Lagerhäuser in einem waren? Der Artikel geht den familiären, geschäftlichen und baukünstlerischen Verbindungen in der Zeit der protoindustriellen Hochblüte eines europaweiten Leinen- und weltweiten Baumwollhandels aus dem entlegenen Appenzellerland und Werdenberg nach.
Dossier 2
Andrea Franzen
Paisley, Pixel und Rosen
Entwürfe für den Glarner Textildruck von Rudolf Hotz-Boller
Zusammenfassung
Im Frühjahr 2022 erhielt das Schweizerische Nationalmuseum ein einzigartiges Konvolut von Textilentwürfen als Schenkung. Sie stammen aus der Hand des Wipkinger Stoffmusterzeichners Rudolf Hotz-Boller (1804–1893). Die Entwürfe in leuchtenden Farben sind Zeugen der Erfolgsgeschichte der Glarner Zeugdruckindustrie. Diese blühte ab den 1820er Jahren auf und machte den Kanton Glarus im 19. Jahrhundert zu einem der bedeutendsten europäischen Zentren des Textildrucks. Um 1865 gab es entlang der Linth 49 Spinnereien, Webereien und Stoffdruckereien mit insgesamt rund 9700 Beschäftigten. Stoffe, Musterbücher, Druckmodel und Archivalien zum Glarner Zeugdruck sind in Museen und Archiven in grosser Zahl erhalten. Kaum bekannt sind hingegen die Entwerfer und Entwerferinnen hinter den Tausenden von Motiven, die meist anonym für die Zeugdruckereien arbeiteten. Die Entwürfe bilden deshalb eine wertvolle Ergänzung der bisherigen Bestände des Nationalmuseums. Sie werden in diesem Beitrag vorgestellt und in die Geschichte des «Glarner Wirtschaftswunders» eingebettet.
Dossier 3
Moreno Raselli
La voce dei telai: storie di donne, cultura e innovazione in Valposchiavo
Zusammenfassung
Die Stimme der Webstühle: Geschichten von Frauen, Kultur und Innovation im Valposchiavo
Anfang Januar wurde bekannt, dass Poschiavo, das Hauptzentrum des Valposchiavo, mit dem renommierten Wakkerpreis 2025 des Schweizer Heimatschutzes ausgezeichnet wird. Mit dieser Auszeichnung werden die Anstrengungen der Gemeinde gewürdigt, Tradition, Innovationsgeist und Gemeinschaftssinn zu einem nachhaltigen Ganzen zu verbinden. Diese Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit ist typisch für die Region – sie kommt auch in der Geschichte und Tradition der Handweberei zum Ausdruck. Der Artikel stellt Initiativen vor, die dieses wichtige immaterielle Wissen fördern und am Leben erhalten.
Dossier 4
Peter Müller
Das fürstäbtische Rorschach als Zentrum des Leinwandgewerbes
Siedlungsgeschichte und Bautätigkeit
Zusammenfassung
Im 18. Jahrhundert war Rorschach am Bodensee, das östliche Eingangstor der Fürstabtei St. Gallen, dank dem Hafen, dem Kornhandel und dem Leinwandgewerbe ein blühender Marktflecken. Eindrückliches Zeugnis dafür ist Johann Franz Roths berühmter Kupferstich von 1794 – mit Sicherheit die meistpublizierte historische Darstellung Rorschachs. Die international tätigen Leinwand-Handelshäuser – allen voran die von Bayer – bildeten eine Art Aristokratie, deren Einfluss weit über Rorschach hinausreichte. Die Familien heirateten untereinander und pflegten ein reiches Gesellschaftsleben. Hinzu kam eine intensive Bautätigkeit. Sie setzten damit im Ortsbild markante Akzente, die zum Teil noch heute erlebbar oder zumindest spürbar sind, am intensivsten an der unteren Mariabergstrasse, die das Zentrum mit der fürstäbtischen Statthalterei Mariaberg verband. Eine Reihe dieser Gebäude sind erhalten. Es sind ehemalige, repräsentative Wohn- und Geschäftshäuser, zum Teil mit Gartenanlagen im französischen Stil. Die vielen gewerblichen Bauten allerdings sind verschwunden.
Dossier 5
Richard Lehner
Die Feldmühle in Rorschach
Wie die Fabrik eine Stadt verändert
Zusammenfassung
Im Jahr 1910 war die Feldmühle AG im sanktgallischen Rorschach am Bodensee die grösste Stickereifabrik der Welt. Über 2000 Arbeiterinnen und Arbeiter waren auf dem 28 500 Quadratmeter grossen Areal südlich des Stadtzentrums beschäftigt. Gegründet wurde die Feldmühle AG im Jahr 1881 von den deutsch-amerikanischen Handelsleuten Loeb und Schönfeld. Dank der von Isaak Gröbli erfundenen Schifflistickmaschine wuchs die Firma stetig. Neue Fabrikgebäude wurden gebaut, und auch die Infrastruktur der Stadt Rorschach veränderte sich. Die Bevölkerungszahl stieg auf fast 14 000 Personen an – auf einer Fläche von knapp 1,6 Quadratkilometern. Nach dem Ersten Weltkrieg jedoch brach die Stickereiproduktion ein. Die Firma stellte auf Kunstseide um, später produzierte sie unter dem Namen Cellux Klebebänder. In jüngster Zeit wurde die Industriebrache – sie steht seit neun Jahren leer – in Zwischennutzung von Kultur und Gewerbe genutzt. In den kommenden Jahren ist eine Überbauung mit Wohn- und Gewerbehäusern geplant.
KdS | MAH | MAS
Die Kunstdenkmäler des Kantons Aargau XI: Ein Referenzwerk für die KdS
Am 11. November 2024 fand im Städtchen Klingnau die Vernissage des elften Aargauer Kunstdenkmälerbands mit dem Titel «Der Bezirk Zurzach I. Aaretal, Surbtal, Kirchspiel Leuggern» von Edith Hunziker, Thomas B. Manetsch und Susanne Ritter-Lutz statt. Gefeiert wurde in der katholischen Kirche St. Katharina und im Schloss Klingnau.
KdS | MAH | MAS
La ceinture Fazyste – constitution d’une ville moderne
Le 3 décembre 2024 a eu lieu, au théâtre de la Fondation Les Salons, le lancement du sixième volume des Monuments d’art et d’histoire du canton de Genève, intitulé « Genève, la ceinture Fazyste 1850-1914 », de David Ripoll.
Publikationen der GSK | Publications de la SHAS | Pubblicazioni della SSAS
Zwei Neuerscheinungen der Schweizerischen Kunstführer SKF
- Museum Zofingen
- Les voiles latines du Léman : entre passé et renouveau
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Abenteuer Mongolei
Nomadentum und Landschaftserlebnisse zwischen Gobi und Grasland
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