Über Jahrhunderte war es üblich, auf einem meist bescheidenen Trägermaterial mit kunsthand werklichen Techniken kostbare oder fremde Materialien vorzutäuschen. Solche Vorgehensweisen und Verfahren können in der Kunstgeschichte über lange Zeiträume zurück verfolgt werden, wie Pierre Alain Mariaux anhand früh mittelalterlicher Beispiele zeigt.
Seit der architektonischen Moderne allerdings stehen Imitation und Illusion unter Generalverdacht: Zumindest herrscht die Ansicht vor, es handle sich um ein unehrliches Gewerbe, wenn nicht gar um «baukünstlerischen Betrug». Mit diesen Aspekten des Themas hat sich Dieter Schnell auseinandergesetzt.
Dennoch beschränkt sich die Imitation von Materialien nicht einfach auf plumpe Täuschung. So können imitierte Materialien manchmal ganz eigenwillige, keineswegs naturalistische Formen annehmen, wie Heiko Dobler in seinem Aufsatz zeigt. Und zur Kunst der Imitation gehört auch eine ganze Reihe spezifischer handwerklicher Kenntnisse, wie wir im Artikel zu den Altarfronten aus Scagliola im Tessin sehen. Die Beweggründe für die Wahl imitierter Materialien sind ganz unterschiedlich und reichen bis hin zum absichtsvollen Spiel mit der Wahrnehmung des Betrachters, wie Melchior Fischli in seinem Beitrag darstellt. Es lohnt sich auch, einen genauen Blick auf das Bildprogramm im Kirchhof des Klosters Fahr zu werfen, wo die Meisterwerke der Gebrüder Torricelli ein Unikum der Fassadenmalerei des 18. Jahrhunderts darstellen.
Essay | Essai | Saggio
Melchior Fischli
Nicht echt, aber gut gemacht
Die Imitation von Materialien in der Architektur und im baulichen Alltag
Zusammenfassung
Der unbefangene Blick auf die Kunst der Imitation ist auch heute noch in gewissem Mass vom Authentizitätsdogma der architektonischen Moderne verstellt. Blickt man auf die Geschichte von Architektur und Kunstgewerbe, erweist sich die die Imitation fremder Materialien auf einem andersartigen Träger hingegen als eine lange Konstante. Der Artikel stellt die Breite des Phänomens vor, wobei der Schwerpunkt dem Thema entsprechend auf dem 19. Jh. und auf der Alltagsarchitektur liegt. Fragt man nach den mutmasslichen Motiven für die Imitation fremder Materialien, stösst man ebenso auf praktische Gründe wie auf den Wunsch nach einer Nobilitierung eines an sich anspruchslosen Materials oder die Freude am Exotischen. Mitunter scheinen Imitate gerade darauf angelegt, mit ihrem künstlichen Charakter das Staunen über die Kunstfertigkeit des Urhebers hervorzurufen, und schliesslich zeigt sich, dass ein imitiertes Material auf scheinbar paradoxe Weise gar die Authentizität eines architektonischen Entwurfs beglaubigen kann.
Dossier 1
Pierre Alain Mariaux
Imitation et représentation
Regarder le haut Moyen Âge
Zusammenfassung
Imitation und Repräsentation
Dieser Beitrag ist die Fortsetzung einer 2019 veröffentlichten Studie, in welcher der Autor die Idee vertritt, dass eines der herausragenden Merkmale der mittelalterlichen Bildproduktion die ständige – und bewusste – Suche nach einer Balance zwischen Material, Form und Dekoration sei. Wer die Wege und Methoden mittelalterlicher Kreativität erforscht, tut gut daran, Phänomene der Kontinuität zu berücksichtigen – speziell, was die Verwendung von Materialien, die künstlerische Praxis und die Schaffung von Formen betrifft. Dies bedeutet auch, dass das disziplinäre Vokabular sorgfältig überarbeitet werden muss. So stellt dieser Artikel den Versuch dar, die Frage der Nachahmung sowohl aus dem Blickwinkel der künstlerischen Praxis als auch des Materials zu betrachten.
Dossier 2
Isabel Haupt
«e anche di la dai Monti»
Die Kirchhofmalerei der Gebrüder Torricelli im Kloster Fahr
Zusammenfassung
Die Gebrüder Giuseppe Antonio Maria und Giovanni Antonio Torricelli Torricelli schufen 1746/47 im Kirchhof des Klosters Fahr ein «Unikum» der Fassadenmalerei des 18. Jahrhunderts. Der Leitgedanke des Bildprogramms, das sich vom Kircheninneren bis zur Fassadenmalerei entspannt, ist, dass ein das Leben im Kloster die Berechtigung zu einer zuversichtlichen Enderwartung gibt. Das Bildprogramm ist eingebettet in perspektivische Scheinarchitekturen und Imitationsmalerei, welche die Grenzen zwischen Raumschichten und Materialien aufheben. Eindrücklich zeigt sich dies im Westen des Kirchhofs, wo die Darstellung eines leeren Throns (Etimasie) das Jüngste Gericht versinnbildlicht.
Dossier 3
Giacinta Jean, Greta Acquistapace
Paliotti in scagliola
Uno sguardo tecnico alle opere del Canton Ticino
Zusammenfassung
Paliotti aus Scagliola – ein technischer Blick auf Werke im Kanton Tessin
Scagliola-Fronten sind besondere künstlerische Arbeiten, die im 18.Jahrhundert zur Dekoration von Altarvorderseiten verwendet wurden, um kostbare farbige Marmorarbeiten zu imitieren. Mehr als zweihundert von ihnen sind im Kanton Tessin vorhanden. Die Technik, mit der sie hergestellt werden, ist aufwendig und komplex. Die Handwerker arbeiten mit einfachen Grundmaterialien wie Gips und Leimwasser, die mit Pigmenten vermischt werden. Diese ermöglichen die Gestaltung faszinierender und sehr zarter Oberflächen. Der vorliegende Beitrag stellt eine interdisziplinär angelegte Studie vor, die durch den Vergleich von schriftlichen Quellen, mündlichen Zeugnissen, direkten Beobachtungen und wissenschaftlichen Untersuchungen rekonstruiert hat, wie die im Tessin vorhandenen Scagliola-Fronten entstanden sind, welche Materialien verwendet wurden und woher sie stammen. Die Analyse der Werke ermöglichte es, auch die Phänomene von Abnutzung und Verfall zu identifizieren und taugliche Massnahmen zu ihrer Erhaltung aufzuzeigen.
Dossier 4
Julia Berger
Künstliche Berge
Die Alpen in der Stadt
Zusammenfassung
Der Beitrag nimmt die Gebirgsszeneriebahn der Schweizerischen Landesausstellung in Bern 1914 als Ausgangspunkt der Betrachtung. Es handelt sich um eine Achterbahn mit einem plastischen Gebirgspanorama. Sie war die späteste innerhalb einer Reihe solcher Bauten im deutschsprachigen Raum ab 1909. Die Errichtung von künstlichen Berglandschaften ist als Ausdruck der Begeisterung für die Berge und die Schweizer Alpen zu sehen. Das Berner Beispiel wird im Kontext des Wandels um 1900/1914 erläutert, der sich in Architektur und Gartenkunst ereignete. Deutlich wird diese Veränderung, wenn man auf die Zeit um 1800 zurückblickt, in der die Blütephase der in natürlichen Formen errichteten künstlichen Felsen, Berge und Grotten begann. Waren diese zunächst in erster Linie Elemente der Gartenkunst, sind sie um 1914 – Schluss- und Wendepunkt der Entwicklung – Teile des modernen Freizeitvergnügens und der Populärkultur. Symptomatisch sind Freizeitparks und zoologische Gärten, wo heute noch natürliche Berglandschaften nachgeahmt werden.
Dossier 5
Dieter Schnell
Ist Materialimitation baukünstlerischer Betrug?
Zum Anliegen der Materialgerechtigkeit in der Architektur
Zusammenfassung
In der Zeit der Aufklärung hat sich das Sprechen über Wahrheit in der Architektur vom Feld einer weitgehend wertfreien Architekturtheorie in dasjenige der Moral verschoben. John Ruskin forderte 1849, dass «Wahrheit» und «Ehrlichkeit» im Umgang mit Materialien und mit Konstruktionen aus moralischen Gründen anzustreben seien. Die sogenannte Materialgerechtigkeit verlangte, dass Materialien weder imitiert noch cachiert, sondern unverhüllt gezeigt werden müssen. In der Folge nahmen vor allem die Modernisten in ihren Kampfschriften für sich in Anspruch, ihre Werke seien nicht nur funktionaler, konstruktiv intelligenter oder finanziell günstiger als andere, sondern diesen auch moralisch überlegen. Sigfried Giedion ging sogar so weit, die Moderne als im Kern moralische Bewegung zu beschreiben. Am Schluss des Artikels wird an fünf Beispielen der Einfluss dieser Moraldiskussion auf die Architektur aufgezeigt.
Dossier 6
Katja Burzer
Original oder Imitat?
Naturstein versus Kunststein
Zusammenfassung
Im ETH Material Hub, einer Material-Plattform der ETH Zürich, finden sich verschiedenste Muster aus Kunst- und Naturstein. Diente Kunststein in seiner Anfangszeit vor allem als Imitat von Naturstein, hat sich das Anwendungsspektrum beider Materialien dank moderner Bearbeitungsmethoden in der Architektur heute stark erweitert. Dabei zeigt sich, dass die Frage nach Materialgerechtigkeit gegenüber der Frage nach den Materialkonnotationen zunehmend in den Hintergrund tritt. Der ETH Material Hub ist ein Kooperationsprojekt des Departements Architektur und der ETH-Bibliothek. Gemeinsam mit neun weiteren Institutionen betreibt er die Verbund-Datenbank www.materialarchiv.ch.
Dossier 7
Claudio Fontana
Dekorative Maltechniken – farbliche Materialimitation
Ein Blick auf beeindruckende Imitationsmalereien
Zusammenfassung
Dekorative Maltechniken finden seit Jahrtausenden Anwendung und gehören seit jeher zum künstlerisch-handwerklichen Repertoire des guten Malerhandwerks. Bemalte Oberflächen sind fester Bestandteil unserer Gestaltungs- und Kulturgeschichte. Eine Hochblüte der Dekorationsmalerei ist letztmals im 19. Jahrhundert auszumachen. Diese beruhte vor allem auf der Auseinandersetzung mit der polychromen Antike, der Stilvielfalt des Historismus, neu entwickelten Farbbindemitteln sowie industriell hergestellten Farbpigmenten. Einen wichtigen Bereich dekorativer Maltechniken stellen noch heute – gerade im Bereich der Konservierung und Restaurierung – die Imitationsmalereien dar, welche die «Illusion» einer bestimmten Materialität erzeugen: Mit malerischen Mitteln können auf praktisch allen streichbaren Untergründen unterschiedlichste Materialien und Oberflächen imitiert werden, wie z.B. Steine und Marmor, Holz aller Arten, Stoffe, aber auch Porzellan oder Beton und vieles mehr.
Dossier 8
Heiko Dobler
Fladern, flackern, geflammt
Zwei maserierte Holzdecken in Baden
Zusammenfassung
Der Beitrag beschreibt zwei in der Stadt Baden zutage getretene Holzdecken, die spätmittelalterlich-barocke Bauten in der Altstadt bzw. in den Grossen Bädern schmücken. Beide unterscheiden sich unverkennbar von der Materialimitationsmalerei des 19. Jahrhunderts. Künstlich maserierte Holzoberflächen in historischen Objekten sind grundsätzlich nichts Aussergewöhnliches: Die dekorative Maltechnik, die aus den gängigsten Weichhölzern in höchster Präzision die edelsten Holzoberflächen imitieren konnte, hatte ihren Höhepunkt im 19. Jahrhundert. Die Funde in Baden allerdings zeigen eine vergleichbare, aber viel ältere Technik: ein paar rote Striche auf weissem Grund, dazu in den Spitzen einige gelbe Farbtupfer. Wie die grobe Maserung eines aufgeschnittenen Nadelholzbrettes zeigt sich der vermutlich im 16. oder 17. Jahrhundert aufgemalte Raumschmuck – gewissermassen als Nachahmung ihrer selbst zeigen die beiden Decken eine eigenständige und faszinierende Gestalt und geben damit fragmentarisch Einblick in die vormalige, repräsentative Raumschale.
KdS | MAH | MAS
Michael Tomaschett
Die Kunstdenkmäler des Kantons Schwyz. Neue Ausgabe V
Die östlichen Gemeinden des Bezirks Schwyz
Die sieben östlichen Gemeinden des Bezirks Schwyz (Morschach, Riemenstalden, Muotathal, Illgau, Ober- und Unteriberg sowie Alpthal) liegen in einer reizvollen voralpinen Kulturlandschaft. Neben den hervorragend erhaltenen Bauernhäusern bilden die zahlreichen Sakralbauten von bemerkenswert hoher künstlerischer Qualität die Glanzlichter des fünften Schwyzer Kunstdenkmälerbands.
KdS | MAH | MAS
Gaëtan Cassina
Les Monuments d’art et d’histoire du canton du Valais V
Le district de Sierre I. La ville de Sierre et Chippis
« Sierre, pays de contrastes » : cette expression qui pourrait sortir tout droit d’un prospectus touristique vaut aussi pour le cinquième volume valaisan.
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Billet de la direction
Das Trompe-l’OEil – eine historische Version der erweiterten Realität?
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Die Schweizerischen Kunstführer SKF sind ideale Begleiter für einen anregenden und farbenfrohen Ausflug im Herbst – ganz besonders nach diesem verregneten Sommer! Zu entdecken gibt es Parkanlagen, beeindruckende Kirchenbauten und markante Landschaften im Herbstgewand.
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Materialien und Konstruktionen überdauern die Jahrhunderte – vorausgesetzt, sie sind hochwertig, und wir wissen, wie sie instand zu halten sind. Auf dieses Wissen und Können hinter unserem Kulturerbe richten die 28.Europäischen Tage des Denkmals am 11. und 12.September 2021 den Blick.
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