k+a 2022.1 : Wiederverwendung in der Architektur | Réutilisation en architecture | Reimpiego in architettura

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   Die Wiederverwendung von Bauteilen hat in jüngerer Zeit enorm an Bedeutung gewonnen. Unter den Stichworten Reuse, Recycling und Upcycling und im Hinblick auf eine nachhaltigere Bauwirtschaft erlebt die Praxis der Wiederverwendung eine Renaissance. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass 65 Prozent der Abfälle in der Schweiz (rund 15,5 Millionen Tonnen) aus dem Baugewerbe stammen. Auch beim CO2-Ausstoss liegt die Baubranche an der Spitze. Es ist offenkundig, dass der Erhalt des Baubestandes grundsätzlich einen wichtigen klimapolitischen Hebel darstellt, denn: Denkmalschutz ist auch Umweltschutz!
   Die Beiträge in unserem Heft zeigen anschaulich, wie sich ein solches Vorgehen in früheren Jahrhunderten allein schon aufgrund der Ressourcenknappheit aufdrängte – viele Materialien waren nur begrenzt verfügbar, der sorgfältige und bewusste Umgang mit bestehenden Bauten war oberstes Gebot.
   Hans-Rudolf Meier spannt den grossen geschichtlichen Bogen zum Thema bis ins 3. Jahrhundert und weist in seinem einleitenden Artikel darauf hin, dass Spolien seit jeher auch aus ästhetischen und semantischen Motiven verwendet wurden. Es ist faszinierend, wie wiederverwendete Teile Zeiten und Epochen verbinden und was sie uns über die jeweilige Kultur erzählen – als «Gelenkstücke der Geschichte» bei der Gestaltung von Bauwerken.

 

 

Essay | Essai | Saggio
Hans-Rudolf Meier
Wiederverwendung in der Architektur – eine Einführung

Zusammenfassung
Angesichts des klimapolitisch notwendigen Wandels im Bauwesen hat die Wiederverwendung von Bauteilen in jüngerer Zeit wieder an Bedeutung gewonnen. Im Beitrag wird die Praxis der Wiederverwendung im geschichtlichen Zusammenhang gesehen, und es werden ein paar Aspekte dieser Kulturtechnik diskutiert. Welche Bauteile besonders beliebt und geeignet sind zur Wiederverwendung und welche Verarbeitungstechniken diese begünstigen oder erschweren. Jeder Wiederverwendung geht eine Zerstörung voraus. Etwas, das eigentlich zu einer Immobilie gehört, wird mobil gemacht und (gelegentlich über weite Strecken) bewegt, bevor es dann in neuem Kontext wieder immobil wird. Wiederverwendete Bauteile verbinden Orte und Zeiten; sie sind daher auch schon als «Gelenkstücke der Geschichte» bezeichnet worden. Die sichtbare Andersheit wiederverwendeter Bauteile gibt diesen Bedeutung und regt zu erklärenden Narrativen an. Zuweilen sind sie aber auch einfach ein Stilmittel zur betont originellen Gestaltung von Bauwerken.

 

Dossier 1
Martin Möhle
Spolien als Störfaktor und Rettungsanker
Das spätgotische Kaufhausportal in der ehemaligen Basler Hauptpost

Zusammenfassung
Das Gebäude der ehemaligen Basler Hauptpost befindet sich an der Stelle des mittelalterlichen Kaufhauses. Spätgotische Werkstücke wurden stets geschätzt, namentlich das aufwendig profilierte Hauptportal, doch auch Nebenportale, Fenstereinfassungen und Arkaden. Diese Spolien wurden wiederholt als Argumente eingesetzt: in der Konkurrenz der Architekten Amadeus Merian und Johann Jakob Stehlin d. J. um den Auftrag zum Postbau sowie später anlässlich des Erweiterungsbaus der Post. Im architektonischen Entwurf fanden sie dabei kaum Berücksichtigung, vielmehr dienten sie als Verankerung der Neubauten in der Basler Geschichte und Bautradition. Sie erhielten deshalb einen eher verborgenen Platz im Innenhofbereich. Bei den aktuellen Umbauplanungen ist der Umgang mit den Spolien erneut ein Thema.

 

Dossier 2
Martin Tschanz
Altertümer in einem postmodernen Environnement
Spolien in der Siedlung Seldwyla in Zumikon

Zusammenfassung
Mit der 1975–1980 erbauten Siedlung Seldwyla schuf Rolf Keller eine Gegenwelt zur zunehmend als unwirtlich empfundenen Stadt. Dabei orientierte er sich an der Architektur des Flimser Architekten Rudolf Olgiati. Die Spolien mit ihrem Authentizitätsversprechen spielen dabei eine wichtige Rolle. Dasselbe gilt auch für die Architektur von Seldwyla, selbst wenn sie je nach Perspektive vielschichtiger oder auch weniger konsequent erscheint, indem sie nicht nur Brüche, sondern auch Übergänge und Mischungen kennt. Auf irritierende Weise wirkt sie fremd und vertraut zugleich. Während andere Siedlungen deutliche Zeugen ihrer Zeit sind, wirkt Seldwyla bis heute überraschend frisch, was offensichtlich nicht bloss daran liegt, dass die Anlage dank wertschätzendem Unterhalt und konventioneller Bauweise gut gealtert ist. Die Siedlung vereinigt teilweise irritierende Gegensätze zu etwas Eigenem und Anderem: Altes und Neues, Echtes und Falsches, Lokales und Globales, Hoch- und Populärkultur. Als frühe, exotische Blüte war sie ein Vorbote der aufkeimenden Postmoderne.

 

Dossier 3
Pauline Nerfin
Du labyrinthe à la sphère : métamorphose de la matière

Zusammenfassung
Vom Labyrinth zur Kugel: Metamorphose der Materie
Der Palais de l’Equilibre, eine Kugel mit 40 m Durchmesser, die vom Holzbauingenieur Thomas Büchi und dem Architekten Hervé Dessimoz für die Expo.02 gebaut wurde, ist ein gutes Beispiel für Wiederverwendung. Die meisten Bohlen der Kugel entstammen dem Schweizer Klangkörperpavillon der Weltausstellung 2000 in Hannover, der von Peter Zumthor entworfen wurde. Diese Bohlen wurden zu Brettern gesägt und mit Hilfe der Brettschichtholztechnik verleimt – sie bilden die äusseren Lamellen des Bauwerks. Der Palais de l’Équilibre verwandelte sich in den Globus der Wissenschaft und Innovation auf dem Gelände des CERN in Meyrin. Um den Bau dauerhafter zu machen, wurde er isoliert und auf ein Fundament gestellt, die äusseren Bögen wurden zudem 2014 aus einem widerstandsfähigeren Holz neu gefertigt. Die Gestaltung solcher Pavillons bei grossen Ausstellungen bietet oft die Möglichkeit, neue Technologien zu testen und originelle Formen zu entwerfen – und so werden sie nicht selten zu Architekturikonen.

 

Interview | Interview | Intervista
Pauline Nerfin
Conversation avec Thomas Büchi
«Le Globe demeurera encore plusieurs décennies, voire des siècles si on l’entretient»

 

Interview | Interview | Intervista
Fabian Felder
«Um ein Lavabo zu demontieren, braucht es einen Schraubenschlüssel, um ein neues zu machen, eine ganze Fabrik»
Interview mit Barbara Buser zum Thema zirkuläres Bauen

 

Dossier 4
Daniel Stockhammer, Benno Furrer
Einfälle statt Abfälle
Phänomene der Wieder- und Weiterverwendung im alpinen Bauen

Zusammenfassung
Die Auswirkungen einer auf Verbrauch basierenden (Bau-)Wirtschaft führen zum Umdenken auf vielen Ebenen unseres wirtschaftlichen Handelns. Reuse und Upcycling, Zero-Waste- Initiativen, Repair- und Secondhandbewegungen zählen heute zum politischen Programm einer sich formierenden Wende im nachhaltigen Umgang mit Ressourcen und Bauwerken. Die Beschäftigung mit den baulichen Zeugnissen der ländlichen Schweiz jedoch zeigt: Diese Konzepte sind nicht neu – sie gingen nur vergessen. Phänomene der Wieder- und Weiterverwendung gehörten zum alltäglichen Werken und Gestalten; Wegwerfen war ein Luxus, den man sich nicht leisten konnte. Not und Mangel zwangen zur Nachhaltigkeit durch Improvisation und Einfallsreichtum – höchste Zeit, diese Welt und ihr bauliches Erbe wiederzuentdecken. Der Aufsatz gibt Einblick in unterschiedliche Konzepte und Gestaltungslösungen, entstanden unter wirtschaftlichen Zwängen, Notlagen oder der Nutzung von Opportunitäten. Dabei stand stets die Funktion, nicht das fehlerfreie Aussehen im Vordergrund. Doch erst durch die Widersprüche und Reibungen zwischen unterschiedlichen Funktionen und Zeiten konnte sich Neues und Überraschendes entzünden, wurden materielle Ressourcen und baukulturelles Wissen erhalten, Kontinuität von Geschichte und Bauwerken gesichert und Architektur in ihrer Mehrdeutigkeit gefördert. Die Untersuchung stützt sich auf die Wissensbestände von Dr. Benno Furrer, wissenschaftlicher Leiter der Schweizerischen Bauernhausforschung 1989–2019 mit Archiv in Zug, heute im Archiv des Freilichtmuseums Ballenberg.

 

Dossier 5
Mirko Moizi
Romanico «riciclato» nei territori della Svizzera italiana
Il caso della chiesa parrocchiale di Quinto

Zusammenfassung
«Recycelte» Romanik in der italienischen Schweiz
Die Pfarrkirche St. Peter und Paul in Quinto ist ein anschauliches Beispiel für die Wiederverwendung von architektonischen und bildhauerischen Elementen romanischen Ursprungs in einem Gebäude der Neuzeit. In den Aussenmauern der heutigen Kirche, die Ende des 17. Jahrhunderts wieder aufgebaut wurde, sind die Überreste der beiden alten Apsiden der mittelalterlichen Pfarrkirche und ihres Glockenturms sowie die kleinen Bögen, Gesimse und Kapitelle zu sehen, die ursprünglich die Krypta und andere nicht näher bezeichnete Teile der früheren Kirche schmückten. Der Beitrag analysiert den kulturellen Kontext und die möglichen Gründe, die lokale Würdenträger dazu veranlassten, dafür zu sorgen, dass die mit dem Wiederaufbau beauftragten Baumeister die Kontinuität zwischen dem mittelalterlichen Gebäude und der neuen Kirche verdeutlichten. Die Beziehung zur Vergangenheit von Quinto – nicht nur der religiösen – wird durch die Neupositionierung und konsequente «Resemantisierung» eines Teils des mittelalterlichen Skulpturenmate rials deutlich.

 

Dossier 6
Daniel Gutscher
Bewusst im Blickfang
Der Einbau von Spolien als verbildlichte Legitimation

Zusammenfassung
In der Nähe von Ruinenstätten haben sich Spätere für ihre Neubauten stets mit Baumaterial bedient. An einigen unserer Baudenkmäler des Mittelalters jedoch sind Einzelstücke derart augenscheinlich, geradezu als «optische Stolpersteine» verbaut worden, dass ihre zeitgenössischen Bauherren damit sicher eine Aussage machen wollten. Der Aufsatz beleuchtet einige kirchliche Bauwerke des 11. bis 16. Jahrhunderts: Romainmôtier VD, Grandson VD, Münchenwiler BE, St. Petersinsel BE, Walkringen BE und Zürich, Grossmünster. Dabei zeigt sich, dass wir durchaus einige dieser rätselhaften Zeugen noch heute zu deuten vermögen, dass sogar Schriftquellen unseren Deutungsansatz belegen. Für den Orden von Cluny dürfen der Rom-Bezug und der kirchenrechtliche Anspruch als gesichert gelten, während andere mittelalterliche Bauzeugen sich unserem heutigen Verständnis widersetzen, noch nicht entschlüsselt werden konnten oder vielleicht gar nie eine besondere Bedeutung haben wollten.

 

Dossier 7
Annemarie Bucher
Im Gespräch mit dem Territorium
Phänomene der Wiederverwendung in der Natur- und Landschaftsgestaltung

Zusammenfassung
Vergleichbar mit einem Palimpsest, enthält Landschaft verschiedene historische Zustände, die weder auf der materiellen noch auch der konzeptuellen Ebene einfach zurückgesetzt werden können, sondern die es weiterzuentwickeln gilt. Angesichts der Klimaerwärmung und des Artenschwundes haben Strategien der Wiederverwendung auch in der Natur- und Landschaftsgestaltung neues Gewicht erhalten. Dies manifestiert sich augenscheinlich im Umgang mit Industriebrachen und Landschaften, von denen Naturgefahren ausgehen, die nicht ausradiert, sondern sorgfältig untersucht und in ihren bereits angelegten Qualitäten ausgebaut werden. Exemplarisch verkörpern dies der Uferpark Attisholz-Süd von mavo Landschaften und die Revitalisierung des Aire-Kanals in Genf vom Groupement Superpositions. In diesen Projekten verstehen sich Landschaftsarchitekten als Mitschreibende an einem umfassenderen Wandlungsprozess – und die Landschaft, die schon da ist, erweist sich als zentrale Grundlage.

 

KdS | MAH | MAS
Eine anspruchsvolle und zugleich beglückende Aufgabe
23. November 2021: Buchvernissage des 142. Kunstdenkmälerbands zu den östlichen Gemeinden des Bezirks Schwyz

 

KdS | MAH | MAS
Un livre qui invite à voyager
Vernissage du 143e volume des Monuments d’art et d’histoire de la Suisse sur la ville de Sierre et Chippis

 

Aktuell | Actuel | Attuale
Nicole Bauermeister, Direktorin der GSK
Billet de la direction
KdS-online – die neue Dimension in der geisteswissenschaftlichen Forschung

 

Publikationen der GSK | Publications de la SHAS | Pubblicazioni della SSAS
Ein Kloster im Finsteren Wald, ein Guter Hirte an der Hauptstrasse
Die Schweizerischen Kunstführer blicken hinter die Kulissen der bedeutenden Bauwerke des Landes, erhellen deren Geschichte und laden zum Besuch ein.

 

Auslandreisen | Voyages à l’étranger | Viaggi all’estero

  • Burgund – vom Genius des Mittelalters
    Architektur und Anmut
  • Die weisse Stadt des Nordens
    Architektur und Kunst in Helsinki

 

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Preis
CHF 20.00
GSK-Mitgliederpreis
CHF 14.00
Type:
Buch
Abbildungen
128
Seitenzahl
80
Autoren
Diverse
Artikelnummer
K+A-2022.1
Inhaltssprache
Deutsch
Französisch
Italienisch
Erscheinungsdatum
ISBN
978-3-03797-804-7
Bandnummer
73. Jahrgang, 1.2022
Verlag
Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte