Putzdekorationen mittels Sgraffito-Technik sind untrennbar mit einem Schweizer Kanton verbunden: Graubünden. Allerdings finden wir auch an anderen Orten bedeutende Beispiele dieser kunsthandwerklichen Praxis. Wie Isabel Haupt in ihrem einleitenden Artikel schreibt, ist es dem Historismus zu verdanken, dass das Interesse an historischen Baustilen und Gestaltungstechniken im 19. Jahrhundert wieder erwachte. Anschauliche Beispiele dafür finden sich im vorliegenden Heft: von der Sternwarte und dem ETH-Hauptgebäude in Zürich bis zum Museum Zofingen.
Gleichzeitig spielen in dieser Ausgabe die Beiträge zu den Künstlern und ihren teilweise unbekannten Werken eine grosse Rolle: sei es das Interview von Nott Caviezel mit Paulin Nuotclà, einem bekannten Bündner Sgraffitokünstler, oder das Porträt von Hans Tomamichel, Grafiker und Künstler, der in Bosco Gurin und der ganzen Schweiz über 60 Werke hinterlassen hat. Aber auch Steivan Liun Könz, der in Guarda (siehe Titelbild) gemeinsam mit Schülern eine ganze Bildermauer gestaltete, hat Bemerkenswertes hinterlassen. Machen Sie mit dieser Ausgabe eine inspirierende Reise durch die Schweiz!
Essay | Essai | Saggio
Isabel Haupt
Kunstvolles Kratzen
Die Renaissance der Sgraffito-Technik im 19.Jahrhundert
Zusammenfassung
Der Historismus des 19. Jahrhunderts verband das Interesse an historischen Baustilen mit dem Interesse an historischen Gestaltungstechniken. Mit der Neorenaissance, die vor allem für Bürgerhäuser, Banken und Bildungseinrichtungen gewählt wurde, erlebte auch die Sgraffito-Technik als Putzdekoration für Fassaden eine neue Blüte. Die Wiederbelebung des Sgraffito im 19. Jahrhundert ist ein internationales Phänomen, für das sich in der Schweiz mit dem von Gottfried Semper 1863 realisierten Sgraffito am Hauptgebäude des Polytechnikums und dem im gleichen Jahr entworfenen Sgraffito für die Sternwarte in Zürich bedeutende Beispiele finden. Sie trugen dazu bei, dass die Sgraffito-Technik ab den 1860er Jahren eine spürbare Wiederbelebung erfuhr.
Dossier 1
Franziska Schmid-Schärer
Sgraffito am Palazzo
Das Museum Zofingen überzeugt als Gesamtkunstwerk
Zusammenfassung
Das Museum Zofingen konnte 1899–1901 dank einer Schenkung des Fabrikanten Gustav Strähl (1845–1929) erbaut werden. Der Auftrag zur Ausführung ging an den illustren Architekten Emil Vogt (1863–1936), der in der Grünzone ausserhalb der Altstadt ein Gebäude im Stil der florentinischen Palastarchitektur plante und für die Fassadengestaltung den Luzerner Sgraffito-Fachmann Seraphin Weingartner (1844–1919) beizog. Er konzentrierte sich hauptsächlich auf die der Altstadt zugewandte Schaufassade und schuf hier ein ornamentales Meisterwerk der Neurenaissance, das von Porträtmedaillons sowie Motiven wie Akanthusranken, Girlanden und Vasen beherrscht wird. Mit dem Variieren zwischen hellem und dunklem Hintergrund bzw. heller und dunkler Lineatur der Kratztechnik erzeugte Weingartner eine spannungsvolle Wechselwirkung und einen zusätzlichen gestalterischen Effekt.
Dossier 2
Yolanda Sereina Alther
Jugendlicher Übermut, Salis-Söhne und preussische Soldaten
Neu entdeckte Graffiti in der Casa Gubert, Soglio
Zusammenfassung
Im Jahr 2020 wurden in der Casa Gubert in Soglio, GR über 27 Wandgraffiti entdeckt. Beachtenswert ist, dass es sich bei vielen Graffiti um Soldatendarstellungen und Embleme mit einem Bezug nach Preussen handelt. Ebenso weist die Architektur der gezeichneten Hauslandschaften, die Bockwindmühle sowie der Segelkahn in den Norden oder Nordosten Europas. Der Stil der Graffiti ist karikaturenhaft, etwas ungelenk aber charmant und lässt auf eine juvenile Zeichnerschaft schliessen. Die Graffiti datieren in den Zeitraum 1797–1803. Nachforschungen ergaben, dass es just in dieser Zeit in Soglio eine Gruppe von Salis-Söhnen gab, die das königliche Pädagogium in Halle, Preussen besuchten. Vorstellbar, dass die Casa Gubert vor ihrem Verkauf 1803 eine Zeitlang unbewohnt war und damit Gelegenheit bot, Graffiti ungestört anzubringen. (Heimlichen) Zugang könnte der 14-jährige Johann Anton von Salis ermöglicht haben, er war der Sohn der letzten von Salis Besitzerfamilie der Casa Gubert.
Dossier 3
Elisabeth Flueler-Tomamichel
Gli sgraffiti di Hans Tomamichel (1899-1984)
Oriundo di Bosco Gurin, Hans Tomamichel è noto come grafico ma va scoperto come artista.
Zusammenfassung
Die Sgraffiti von Hans Tomamichel (1899–1984)
Im kleinen Dorf Bosco Gurin, dem einzigen deutschsprachigen im Tessin, befinden sich ganze 15 Sgraffiti von einem Künstler. Es handelt sich um Hans Tomamichel (1899–1984), der hier geboren wurde und sich nach der Grafikerlehre und einer Studienzeit in Paris in Zürich niederliess. Als Vater des Knorrli und zahlreicher anderer Werbefiguren sowie als Illustrator ist er schweizweit zwar bekannt, muss aber als Künstler erst noch richtig entdeckt und gewürdigt werden. Er schuf Fresken und erstellte Entwürfe für Kunstwerke, die von Kunsthandwerkern mit verschiedenen Materialien ausgeführt wurden. Seine Sgraffiti – es sind insgesamt 62 dokumentiert – sind nicht nur in Bosco Gurin, sondern in der ganzen Schweiz zu bewundern. Sie zeichnen sich durch ihre klare, nüchterne und gleichzeitig unglaublich ausdrucksstarke Linienführung aus, die dem Betrachter auch heute noch modern erscheint. Besonders eindrücklich ist seine achtfarbige Pietà auf dem Friedhof von Bosco Gurin.
Dossier 4
Alex Winiger
Ein Gruss nach Mexiko aus der Hochburg des Engadiner Sgraffito
Die Bildermauer von Steivan Liun Könz in Guarda
Zusammenfassung
Der Künstler Steivan Liun Könz (1940–1998) schuf in den 1990er Jahren zusammen mit Schulklassen ein bis heute kaum beachtetes Monument. Die sgraffitierte Bildermauer am Dorfrand Guardas wirkt in die weite Landschaft hinaus, ist aber kaum durch Zugangswege erschlossen und wird in touristischen Führern nicht erwähnt. Jenseits einer Klassifizierung als Kunstwerk muss ihre ornamentale und zeichenhafte Kraft jede und jeden beeindrucken, der sie auf einem Rundgang um das Dorf entdeckt. Bei ihrer Betrachtung klingt weniger das Erbe des historischen Engadiner Sgraffito an. Vielmehr ruft die Mauer zwei Hauptwerke des mexikanischen Muralismus der Nachkriegszeit in Erinnerung: die Mosaiken an den Fassaden der Zentralbibliothek von Juan O’Gorman und des Transportministeriums von Carlos Lazo.
Interview | Interview | Intervista
Nott Caviezel
«Die Geschichte des Sgraffitos ist noch nicht zu Ende geschrieben»
Wer die bauliche Eigenart bündnerischer Bauweise auf eine kurze Formel bringen will, verweist auf die an vielen alten Häusern des Kantons vorhandenen Sgraffiti. Tatsächlich machen sie seit Jahrhunderten einen Teil ihrer charakteristischen Erscheinung aus. In Susch habe ich Paulin Nuotclà zum Interview besucht, einen der bedeutenden Sgraffitokünstler in Graubünden, schon immer ein kritischer Zeitgenosse, vielseitig begabt und mit einem umfassenden OEuvre.
Dossier 5
Samuel Metzener
Le graffito du chevalier aux armes de la Savoie
Le Petit salon au château de Chillon
Zusammenfassung
Das Graffito des Ritters mit den Waffen von Savoyen
Das Wappen des Ritters von Savoyen ist eines der am besten erhaltenen Graffiti im Schloss Chillon, da die Klarheit der Zeichnungen nicht durch spätere Eingriffe beeinträchtigt wurde. Der Untergrund, auf dem das Graffito angebracht ist, sowie die Ausrüstung des Reiters und seines Pferdes lassen eine Datierung zwischen dem Ende des 13. und dem Beginn des 14. Jahrhunderts vermuten. Diese Zeitspanne entspricht der langen Regierungszeit des Grafen Amadeus V. von Savoyen. Dieser war Herr des Schlosses Chillon und pflegte eine enge Verbindung zu diesem Ort. Das Graffito zeichnet sich dadurch aus, dass es Elemente von Reitersiegelnaufgreift, dem Erkennungszeichen des Adels, um offizielle Dokumente zu beglaubigen. Der Graffitikünstler begnügte sich jedoch nicht damit, ein Reitersiegel einfach eins zu eins nachzubilden. Vielmehr passte er die darauf abgebildeten Elemente an den starren Untergrund, den Stein, an. Der Ort, an dem sich das Siegel befindet, ermöglicht es uns deshalb auch, Hinweise auf die Person zu finden, die das Siegel geschaffen hat.
Aktuell | Actuel | Attuale
Nicole Pfister Fetz, lic.phil.I, Präsidentin GSK
Billet de la présidente
Kratzen an der Oberfläche
Aktuell | Actuel | Attuale
Zum Tod von Alfons Raimann (1944–2023)
Publikationen der GSK | Publications de la SHAS | Pubblicazioni della SSAS
Architekturlandschaft Schweiz
Neuerscheinungen der Schweizerischen Kunstführer
Publikationen der GSK | Publications de la SHAS | Pubblicazioni della SSAS
Adrien Noirjean, Isabelle Roland
Jean-Ulysse Debély, architecte au Val-de-Ruz
Publikationen der GSK | Publications de la SHAS | Pubblicazioni della SSAS
Valeria Frei
La Pinacoteca cantonale Giovanni Züst a Rancate
Auslandreisen | Voyages à l’étranger | Viaggi all’estero
- Königsstädte und Berberburgen
Zwischen Königsstädten, Atlasgebirge und Sahara - Siziliens Vielfalt
Mandelbäume, mächtige Tempel und Montalbanos Leibspeisen - Ravenna – Pavia – Mailand
Römer, Byzantiner und Germanen im frühmittelalterlichen Oberitalien
Bücher | Livres | Libri
- Flaneur der Präzision
- Automobil und Architektur
- Kleine Basler Kunstgeschichte
- Ensemble Chauderon
- Bâtir Fribourg au 20e siècle
- Der Wartesaal
- Cousins germains
Impressum | Impressum | Colophon
:)